Reifen

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Ich finde keinen Schlaf, der Griff geht automatisiert zum Handy. Instagram schlägt die Zeit besser tot als es (fast) jede gängige Droge tun könnte. Nach gefühlt kurzer Zeit im Strudel von Mini Dopamin Kicks (~2h) lande ich auf meinem eigenen Profil. Lächelnd beginne ich die Reise in die Vergangenheit, vertraute Gesichter, Familie, Freunde und recht viel freigeistiger Frohsinn. Ich streichle meinen Bildschirm zärtlicher als mancher Mann das bei seiner Frau tut und gehe weiter und immer weiter zurück. Ich wusste nicht, dass mittlerweile die Anzahl der Wochen angezeigt wird, die seit der Momentaufnahme vergangen sind. 240 Wochen seit ich mit diesem lieben Freund gesprochen habe. Dreihundertirgendwas Wochen seit ich dies und jenes getan, hier beziehungsweise dort war und einfach alles anders war. Nostalgie schlägt in Wehmut, Wehmut in Trauer um. Ich bin traurig. Traurig weil ich geliebte Menschen nicht mehr an meiner Seite habe. Traurig weil die fröhlichen Momente sich rückblickend damals viel intensiver als heutzutage anfühlen. Gleichzeitig hatte ich damals keine Ahnung wie intensiv die Zeit war. Verrückt. In 240 Wochen werde ich zurückblicken, eventuell diesen Text lesen und vermutlich das gleiche denken. Die Bilder rufen mir schmerzlich meine Fehler ins Gedächtnis. Ich behaupte gerne – laut und möglichst selbstbewusst – dass ich wieder alles genau so machen würde wenn ich die Chance hätte. Ich grübel ein wenig vor mich hin, warum nimmt mich mein Ausflug in die Vergangenheit so mit? Ich halte inne, tippe kurz nicht auf mein Handy um die Gedanken zu sammeln. Mir wird bewusst, dass ich alt werde. Mir wird bewusst wieviel bereits passiert ist. Mir wird – und das ist vermutlich der Grund für meine Gemütstrübung – bewusst, dass ich irgendwann sterben werde. Eine allgemein bekannte Tatsache, ein allgemein verdrängter Fakt. Ein Fakt der bei näherer Betrachtung Angst macht und Sicherheit spendet. Angst, das Leben welches mir geschenkt wurde nicht richtig zu nutzen. Die Gewissheit, dass eben dieses Leben temporär ist, die Erleichterung die diese Tatsache mit sich bringt. Jeder Fehltritt, jedes Scheitern und jede Erinnerung wird eines Tages verblassen. Und das Beste daran? Ich kann mich zurücklehnen und genießen was ich genießen kann. Am Ende bin ich nämlich tot. Wenn ich so darüber nachdenke würde ich, hätte ich denn die Chance, so viel anders machen wie irgend möglich. Man stelle sich das Unglaubliche vor, noch ein Leben erleben zu dürfen. Wie bekloppt wäre es denn genau das gleiche noch einmal zu tun? Was für eine Verschwendung unbegrenzter Möglichkeiten.