Es ist viel zu früh, kein Hahn kräht, fast alle Fenster des kleinen Dorfs sind weit geöffnet um kühle Luft in die über den Tag aufgeheizten Wohnungen zu lassen.
Das rhythmische Klacken der Hufe auf der verwaisten Straße bleibt unbemerkt, zu tief ist der wohlverdiente Schlaf des kleinen Örtchens am Waldrand. So schreitet es durch die Gassen, hinterlässt hier und dort einen Haufen Glitzer auf dem Pflasterstein, der Wind trägt ihn umgehend davon.
Das letzte Einhorn kennt es nicht anders. Überall auf der Welt ist es alleine. Es sehnt sich nach Gesellschaft, lechzt nach Interaktion mit einem Geschöpf seiner Art. Doch so war es immer schon, auf ewig verdammt. Was bringt einem die Unsterblichkeit wenn man einsam wandelt, sie mit niemanden teilen kann. Selbst ein Nemesis Einhorn, ein Erzfeind aus dem Lehrbuch wäre willkommen. Es würde es durch die Zeitalter begleiten, immer wieder sein Unwesen treiben, dem Leid der Existenz einen Sinn verleihen und die Tage abwechslungsreich gestalten. Doch es ist allein, immer das bunteste Geschöpf unter dem Himmel, alles wirkt grau und trist in seinen Augen. So war es immer schon. Am Anfang war das Einhorn, das Einhorn war allein. Lange Zeit wusste es nicht einmal um sein eigenes Leid, was alleine aus dem Nichts kommt kennt nichts anderes, kein anderer Zustand der besser gefallen könnte. Oh was waren das Zeiten, der Anfang, das wirkliche allein sein. Der Genuss die Welt zu entdecken, all ihre Wunder zu kosten, jeden Winkel zu bereisen und sich der simplen, eigenen Existenz zu freuen.
Das letzte Einhorn denkt über die Bedeutung seines menschengemachten Namens nach. ‚Das letzte Einhorn‘, was für ein Scheiß. Als hätte es je mehr seiner Art gegeben. Diese verdammten Menschen und ihre vermeintlichen Problem. Sehen sie denn nicht wie reich jeder einzelne von ihnen ist? Wie sehr es sie hasst, wie gerne es von ihrer Spezies wäre. Verliebt sein, Beziehungsprobleme haben, Sex unter dem Himmelszelt. Die Gewissheit irgendwann zu sterben, die daraus resultierende Sinnhaftigkeit und Intensität jedes Augenblicks. Wie kann man so dumm sein, dieses Geschenk namens Tod nicht zu würdigen? In ihrer unendlichen Beschränktheit des Geistes fürchten sie sich davor, erfinden lustige kleine Geschichten was danach wohl passiert, bereichern sich durch ausgedachte Götter. Dem letzten Einhorn kommt ein bisschen Regenbogen Galle hoch, es schüttelt seine prachtvolle Mähne und verschwindet langsam zwischen den mittlerweile erreichten Bäumen des Waldes.
Und die Menschheit erwacht.
Sie leben, lieben und fürchten sich, unwissend um das ihnen gemachte Geschenk.