Der blanke Nerv

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Regungslos liegt er da in seinem Bett.

Nicht verkrampft, nicht entspannt.

Die Beine angewinkelt, die Hände liegen ebenso regungslos am Ansatz der Oberschenkel.

Wir haben bereits einige Worte gewechselt, ein krampfhaftes Gespräch in dem schnell klar wurde, dass wir nicht gut harmonieren, uns aber auch nicht als unangenehm empfinden.

Er klagt über das Klinik Bett, es sei komplett durchgelegen und verursache ihm starke Schmerzen.

Ich frage ihn ob er nicht sitzen möchte, ob laufen nicht gut tun würde. Ich schlage in meinem Stumpfsinn sogar das TrimmDichRad im Gang vor um den Schmerzen entgegen zu wirken.

Er verneint alle Möglichkeiten, alles bereite ihm Schmerzen.

Ich werde stutzig, frage mich was das ganze soll. Man muss doch irgendetwas machen können, Schmerzmittel, eine andere Matratze, Yoga, Meditation, irgendwas verdammt nochmal.

Aber er liegt einfach da. Leidend. Beschäftigt sich mit nichts, nichts lenkt ihn von seiner Misere ab. Er liest kein Buch, spielt nicht am Handy, hört keine Musik.

Einfach nur daliegen.

Ich frage mich was in seinem Kopf vorgeht, ob der Schmerz ihn komplett ausfüllt.

Depressionen und Panikstörung sind der Grund seiner Anwesenheit hier in der Klinik, soviel habe ich aus unserem kurzen Gespräch entnehmen können. Ab und an kratzt er sich am rechten Ohr, bisher jedoch nie am linken.

Die Sekunden werden zu Minuten, diese zu Stunden. Stunden ohne wirkliche Regung. Stunden ohne Beschäftigung, ohne Inhalt, ohne Sinn? Ich liege ebenfalls im Bett, kratze mich im Nacken, wackle leicht mit meinen auch angewinkelten Beinen teils zu dem über meine Kopfhörer laufenden Song und frage mich wie jemand das aushalten kann. Einfach so daliegen.

Nichts, aber auch wirklich gar nichts tun außer zu leiden.

Vielleicht ist er die menschliche Verkörperung einer Depression.

Gelähmt, unfähig auch nur ein bisschen zu handeln. Voll und ganz aufgehen in dem physischen und psychischen Leiden.

Ich finde es beeindruckend wie ruhig er wirkt. Ich versuche mich in seine Lage zu versetzen. Vermutlich wäre ich längst durchgedreht, hätte jemanden ins Gesicht geschlagen, mit Stühlen geworfen, mir Tilidin besorgt oder wenigstens das Bett angezündet welches es nicht vermag mich in Ruhe liegen zu lassen.

Aber er liegt einfach nur da.

Ich will ihn anschreien, er solle doch etwas unternehmen. Das Leben sei zu kurz um einfach nur mit Schmerzen und negativen Gedanken in einem Bett zu liegen das all dies noch befeuert.

Aber er?

Er liegt da.

Es sind noch zwei leere Betten in unserem Zimmer, die ehemaligen Bewohner wurden auf eine andere Station verlegt.

Warum zum Teufel legt er sich nicht in eins der anderen Betten? Warum steht er nicht konstant bei der Pflege auf der Matte und klagt sein Leid?

Eine Regung aus seiner Ecke.

Er richtet sich auf, würdigt mich keines Blickes. Für ihn scheine ich nur partiell zu existieren. Er faltet seine Bettdecke und platziert sie über der wohl am meisten durchgelegenen Stelle des Bettes. Kein Stöhnen, kein entnervter Blick als er sich wieder in die altbekannte Pose legt. Das rechte Ohr wird gekratzt.

Und wieder liegen.

Einfach nur liegen.

Liegen und warten vielleicht?

Warten auf ein Ende des Schmerzes, warten auf eine Spende ans Krankenhaus die für bessere Matratzen verwendet wird? Warten auf ein Ende des Grübelns, der Trauer und Gelähmtheit der Depression?

Woher nimmt der Mann seine Geduld? Ich verzweifle schon beim Warten auf meinen Termin mit der Sozialpädagogin und meinen Ausgang. Der Unterschied zwischen unserem Warten ist die Gewissheit. Ich weiß, dass demnächst die Sozialpädagogin mich holen kommt um meine Langzeit Suchttherapie zu planen. Ich weiß das ich ab 14 Uhr, also in 35 Minuten, die Psychiatrie verlassen und frische Luft atmen kann.

Er weiß das nicht. Woher soll er wissen wann der Schmerz aufhört? Wann die Depression endet? Wann die Matratze gewechselt wird?

Was bleibt ihm aber anderes übrig? Mit der Pflege und den Ärzten hat er gesprochen. Die freien Betten sind nicht für ihn gedacht. Die Depression ist zum stetigen grauen Begleiter geworden und es ist keine Option mehr übrig, er kann nur versuchen es auszuhalten.

Sind denn wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft? Kann man denn nichts tun? Er kann natürlich die Klinik verlassen, in sein eigenes, bequemes Bett zurückkehren. Sich Medikamente gegen den Schmerz holen. Sein Leben ändern und glücklich sein.

Nur was ist leichter? In dem Stadium der Unzufriedenheit, des Schmerz und des Leid zu verweilen oder wirklich etwas anzugehen?

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